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speculative anatomy 📖

Formen in der Natur – besonders die Anatomie von Lebewesen mit komplexen Nervensystemen und einem hohen allgemeinen Komplexitätsgrad – sind überhaupt nicht zufällig.
Sowohl die Materialien, die Verflechtung und Symbiose der Materialien, als auch die Effizienz und die Fähigkeit zur Selbstreparatur sind eng mit der Form und ihrer Funktion verbunden.

Die folgenden Werkzeuge eröffnen Methoden, um sich dieser Disziplin mit einer gestalterischen Perspektive zu nähern. Dabei werden einfache Programmierungen und generative KI-Tools verwendet.

Anstatt wahllos Textbefehle (Prompts) in eine KI einzugeben und mit klischeehaften Ergebnissen von Diffusions-Modellen gefüttert zu werden, können wir raffiniertere Werkzeuge nutzen. Diese leiten das KI-Modell in ganz individuelle gestalterische Dimensionen.

Eine sehr direkte Methode ist die Verwendung des weit verbreiteten „ControlNet“ in Kombination mit webbasierten Tools. Mit diesen Tools kann man spezifische Tiefenkarten (Depthmaps) erstellen, die den Generierungsprozess der KI lenken und steuern.
(Siehe den „Diffusion-Workflow“ weiter unten!)

#1 simple drawing of smooth brush / mirrored

This prototype is the most basic approach to draw a depthmap with a web-based platform (p5.js). A white dot is drawn on a black canvas, trying to follow the mouse position in an eased way. The redrawing buffer is disabled, to a proper drawing path becomes visible. + mirrored brush.

output depthmap prototyp #1


CODE & DEMO ONLINE: https://editor.p5js.org/brucexxxbanner/sketches/f7PH1GecN

simple drawing of custom bitmap brush / double mirror

As an enhancement of the prototype #1 – this one comes with a custom bitmap brush, that is used instead of the default circle. This offers a wiede palette of visual options, as the brushtip is a simple *.png file with tranparency. + a simple drawing mirror on both x an y axis.

output depthmap prototyp #2

custom brushtip + symmetry on both axis

CODE & DEMO: https://editor.p5js.org/brucexxxbanner/sketches/dg-qcnbb0

class based brush swarm + variation in alpha / size / follow ease

This class based drawing prototype uses a slightly different approach than both #1 and #2. It uses multiple class instances / drawing agents, that follow the mouse position. Each agent comes with a custom motion behaviour and visuality variation in alpha, size and follow ease factor.

output depthmap prototyp #3

class based custom brushtip + follow variation

CODE & DEMO: https://editor.p5js.org/brucexxxbanner/sketches/XYEAAiUA6

basic comfyUI Workflow depthII IMG

The depthmaps created with prototypes #1, #2 and #3 can be used as proper guidance for a standard Depthmap/Controlnet based diffusion process. The color information ( brightness only! ) is used to give the model a glimpse of dimension – means black is far away, while white is at the front. With a proper prompt, that adresses that setup, we have both visual/spacial guidance through the depthmap and contextual guidance coming from the prompt. A basic prompt might be the following:

realisitic photo of animal anatomy, fur, translucent material, thin dentiles and mycelium, fine strings, – plain void background

The standard, most used, most low-key workflow for depth related diffusion for COMFYUI can be found here or in the official examples folder of COMFYUI.

basic comfyUI controlnet depth2img workflow

DOWNLOAD JSON WORKFLOW: depth_controlnet_comfy_workflow

hand drawn depthmap depthII IMG

The process of depthmap generation is not limitied to synthetic graphics – we can use all greyscale image data as depthmap. Onyl the pixel brightness has relevance in the diffusion process ( black=background, white=frorground )

input hand drawn depthmap
output hand drawn depthmap

Inspiration



📖 THEORIE


Der Ursprung im Design und die fundamentale Rolle in der Natur


Der prägnante Satz "form follows function" wird zwar oft mit der Moderne des 20. Jahrhunderts assoziiert, seine geistige Wurzel liegt jedoch beim amerikanischen Architekten Louis Sullivan. Als einer der Väter der Wolkenkratzer prägte er diesen Grundsatz in den 1890er Jahren, um seine Architekturphilosophie zu beschreiben: Die äußere Erscheinung eines Hochhauses sollte sich unmittelbar aus seiner inneren Struktur und Nutzung ableiten. Diese Idee wurde zur zentralen Doktrin der Modernen Architektur und insbesondere am Bauhaus (1919-1933) unter Direktoren wie Walter Gropius und Ludwig Mies van der Rohe radikalisiert. Hier wurde die Form von allem Dekor befreit; ein Gebäude oder ein Stuhl sollte ein reines, funktionales Produkt sein, dessen Ästhetik sich fast zwangsläufig aus seiner Zweckerfüllung ergab.

In der Biologie ist dieses Prinzip nicht nur übertragbar, sondern es stellt einen fundamentalen Wirkmechanismus der Evolution dar. Während im Design eine bewusste Intention von Gestaltenden wirkt, ist der Prozess in der Natur blind und wird durch die natürliche Selektion angetrieben, wie sie von Charles Darwin und Alfred Russel Wallace beschrieben wurde. Die "Funktion" ist hier gleichbedeutend mit dem adaptiven Wert oder der biologischen Fitness. Eine Form, die es einem Organismus ermöglicht, effizienter Nahrung zu finden, Energie zu sparen, sich erfolgreicher fortzupflanzen oder Räubern zu entgehen, wird sich über Generationen hinweg in einer Population durchsetzen. Die Natur "selektiert" somit kontinuierlich die funktionalsten Formen. Der Biologe und Nobelpreisträger François Jacob beschrieb dies treffend als "Basteln" (Bricolage) der Evolution – es werden keine perfekten Neukonstruktionen geschaffen, sondern mit vorhandenen Strukturen wird so umgebaut und optimiert, dass sie eine neue, überlebenswichtige Funktion bestmöglich erfüllen.

Fallbeispiele aus der Anatomie und die theoretische Fundierung


Die Belege für dieses Prinzip sind in der vergleichenden Anatomie allgegenwärtig und dienen als starke Argumente für die Evolutionstheorie.

Konvergenz als Beweis: Eines der überzeugendsten Argumente ist das Phänomen der konvergenten Evolution. Hier entwickeln nicht verwandte Arten unabhängig voneinander ähnliche Formen, um ähnliche funktionale Probleme zu lösen. Die stromlinienförmige Körperform eines Hais (Knorpelfisch), eines Ichthyosauriers (ausgestorbenes Reptil) und eines Delfins (Säugetier) ist das klassische Beispiel. Die physikalische Anforderung an einen effizienten Vortrieb im Wasser (Funktion) führt in unterschiedlichen Evolutionslinien zur selben optimalen Form. Gleiches gilt für die Flügel von Vögeln, Fledermäusen und den ausgestorbenen Pterosauriern – alle sind unterschiedlich aufgebaut, folgen aber denselben aerodynamischen Prinzipien.

Struktur und Materialität: Die Theorie geht über die reine Makroform hinaus und betrifft auch die mikrostrukturelle Ebene. Die Wabenstruktur in Knochen ist ein Meisterwerk der Leichtbauweise: Sie maximiert die Stabilität bei minimalem Materialeinsatz, eine für landlebende Wirbeltiere essentielle Funktion. Die Lotusblatt-Oberfläche mit ihrer mikro- und nanoskopischen Rauigkeit erfüllt die Funktion der Selbstreinigung (Lotuseffekt), was das Überwachsen mit Pilzen oder Algen verhindert. Diese Beispiele zeigen, dass "Form" auf allen Größenskalen von der Funktion bestimmt wird.

Theoretisch wird dies durch das Konzept der Adaptation hergeleitet. Variation, Vererbung und Selektion sind die treibenden Kräfte. Eine zufällige Mutation könnte beispielsweise die Flügelform eines Vogels leicht verändern. Individuen mit der vorteilhafteren, aerodynamischeren Variante haben einen Selektionsvorteil. Dieser funktionale Vorteil führt dazu, dass sich das entsprechende Allel in der Population häuft. Die Form passt sich so schrittweise der Funktion an.

Übertragbarkeit zwischen Natur und Design: Bionik und spekulative Anatomie


Die Rückkopplung dieses Prinzips aus der Natur in das zeitgenössische Design und die Kunst ist das Forschungsfeld der Bionik (Biologie + Technik). Es geht nicht um bloßes Kopieren, sondern um das Abstrahieren und Übertragen von biologischen Konstruktions-, Struktur- und Entwicklungsprinzipien.

Gestalterisches Forschen mit Naturformen: Architekten wie Otto Frei erforschten mit seinen Experimenten zu Seifenfilmen und Zugnetzen minimalistische Strukturen, wie sie auch in biologischen Systemen vorkommen. Seine filigranen Dachkonstruktionen (z.B. für das Münchner Olympiastadion) folgen demselben Prinzip der Materialersparnis und Lastoptimierung wie eine Vogelknochen-Trabekelstruktur oder ein Spinnennetz. Auch die Fassaden moderner Gebäude, die den Lotuseffekt nachahmen, um schmutzabweisend zu wirken, sind ein direktes Ergebnis dieses gestalterischen Forschens.

Spekulative Anatomie und künstlerische Projekte: Im Bereich des spekulativen Designs und der Kunst wird dieses Prinzip erweitert, um zukünftige oder fiktive Lebensformen zu entwerfen. Künstler wie Patricia Piccinini erschaffen hyperrealistische Skulpturen von Hybridwesen, deren oft verstörende Formen konsequent aus einer spekulierten Funktion und Anpassung an eine veränderte Umwelt abgeleitet sind. In Science-Fiction-Designs, beispielsweise für die Kreaturen in Filmen wie "Avatar", entwickeln Künstler Anatomien, die plausibel erscheinen, weil sie "form follows function" auf eine fiktive Biologie anwenden – etwa durch die Integration von Biolumineszenz zur Kommunikation oder speziellen Gliedmaßen zur Fortbewegung in einer bestimmten Umgebung. Diese Projekte dienen nicht nur der Unterhaltung, sondern auch einer kritischen Reflexion über unsere Beziehung zur Biologie und die Folgen der Technologie.