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📖 THEORIE
Die zeitgenössische Praxis von Design und Kunst ist heute in weiten Teilen systembestätigend. Während Designinnovationen durchaus lesbare, oft technische oder ästhetische Probleme lösen, greifen sie nur selten die eigentlichen, systemischen Probleme auf. Diese wurzeln in Strukturen wie dem Klassismus, der ungleichen Verteilung von Ressourcen und Chancen, sowie den durch den neoliberalen Plattformkapitalismus erzeugten Zwängen – Prekarisierung der Arbeit, Datenextraktivismus und die Kommodifizierung aller Lebensbereiche. Die auszeichnungswürdige Kunst oder das prämierte Design entsprechen vorwiegend dem Status quo, den sie mit kleinen ästhetischen oder konzeptionellen Abwandlungen lediglich variieren, ohne seine Grundfesten ernsthaft in Frage zu stellen.
Diese Zurückhaltung ist auch einer verschobenen Diskurskultur geschuldet. Kunst muss in sozialen Medien funktionieren, muss ästhetisch ansprechend sein um sich verkaufen oder Besucher anzulocken, muss gefallen oder zumindest unverfänglich sein. Die Angst, "gecancelt" zu werden – sei es durch den Markt, die Institutionen oder die Öffentlichkeit –, wirkt als stiller Zensor und unterbindet provokante, wirklich disruptive Positionen - aber auch spielerische kreative Methodik. In diesem Klima ist Design in globale Systeme und Marktzwänge derart eingefasst, dass es eher als Katalysator für eine Gleichschaltung der Ästhetik und der Probleme wirkt, die es adressiert. Radikalere, systemkritischere Konzepte erscheinen schnell als spekulativ oder, als das ultimative Totschlagargument, unmöglich "vermarktbar". Letztlich sind Kunst und Design der Marktlogik untergeordnet, einem System, das nicht dem Gemeinwohl, sondern primär der Profitmaximierung zugewandt ist. Die einst disruptive Kraft der Avantgarden, gesellschaftliche Tabus zu brechen und neue Wirklichkeiten zu entwerfen, ist damit weitgehend neutralisiert. Ein gesellschaftlicher Diskurs jenseits der engen Grenzen etablierter politischer oder identitätspolitischer Agenden erscheint unter diesen Bedingungen fast undenkbar.
Als unmittelbare, beobachtbare Folgen für Kreative ergeben sich Vereinzelung und der Rückzug in hermetische Filterblasen oder Parallelwelten. Dort mag Kritik geäußert werden, aber sie erreicht selten die breitere Öffentlichkeit oder die Machtzentren. Dies führt oft zu einer stillen Abwendung von explizit systemkritischen Positionen, angetrieben von einer diffusen, aber wirkmächtigen Angst vor den Konsequenzen – dem Verlust von Aufträgen, Fördergeldern oder sozialer Legitimität.
Widerstand ist möglich
Trotz dieser scheinbar allumfassenden Dominanz des Marktes bleibt die Tatsache bestehen: Widerstand ist immer möglich! Kreative tragen eine besondere Verantwortung, neue Denkräume zu öffnen und sich den vereinnahmenden Logiken zu widersetzen. Diese Verweigerungshaltung ist keine Nische, sondern eine notwendige kulturelle Praxis.
Einmal angerissen: Die Konsequenzen einer Totalverweigerung
Eine Totalverweigerung der Kreativen, also ein kollektiver und radikaler Streik gegenüber den Anforderungen des Marktes und des systembestätigenden Kulturbetriebs, hätte tiefgreifende und mehrdimensionale Auswirkungen. Zunächst würde sie die Abhängigkeit des Systems von stetiger kultureller und ästhetischer Reproduktion offenlegen. Der Soziologe Pierre Bourdieu hat in seiner Theorie der kulturellen Produktion aufgezeigt, wie das Feld der Kunst gleichzeitig relativ autonom, aber auch in ökonomische Felder eingebettet ist. Eine Totalverweigerung würde diese fragile Autonomie radikal behaupten und die symbolische Ökonomie, die auf der ständigen Produktion von Neuem und Unterscheidendem basiert, zum Erliegen bringen. In der Praxis würde dies zu einer unmittelbaren Leere in den Kanälen der Aufmerksamkeitsökonomie führen – Werbung, Medien, Unterhaltungsindustrie und selbst die politische Kommunikation sind auf die stetige Zufuhr kreativer Energien angewiesen. Kurzfristig käme es zu einer Krise der Inhalte. Langfristig könnte eine solche Verweigerung, wie sie in Ansätzen von Gruppen wie den Neoisten oder den Situationisten mit ihrer Kritik der Spektakel-Gesellschaft (Guy Debord) gedacht wurde, den Fetischcharakter der Ware Kultur bloßstellen und einen Raum für die grundlegende Frage eröffnen: Welche Kunst und welches Design braucht eine Gesellschaft jenseits der Verwertungslogik? Allerdings birgt diese Strategie die große Gefahr der Marginalisierung. Sie könnte als elitär oder weltfremd abgetan und von der Maschinerie des Marktes einfach ignoriert oder durch Amateure und KI-gestützte Inhalte ersetzt werden, die den Status quo noch unkritischer reproduzieren.
Strategien zur Gewinnung von Mitstreitenden
Um eine breite Bewegung des Widerstands zu formieren und nicht durch allzu radikale Maßnahmen abzuschrecken, sind strategische, inklusive Ansätze essenziell. Anstatt einer reinen Verweigerungshaltung könnte ein Ansatz der "taktischen Einbettung" oder des "institutionellen Ungehorsams" nach dem Vorbild des Kulturtheoretikers Brian Holmes fruchtbar sein. Dabei nutzen Kreative die Ressourcen und Plattformen des Systems, um von innerhalb heraus subversive Botschaften zu verbreiten und Strukturen zu unterwandern. Dies schafft niedrigschwellige Einstiegsmöglichkeiten für Mitstreiter, die vor einem totalen Bruch zurückschrecken. Ein weiterer zentraler Ansatz ist die Bildung von solidarischen Netzwerken und Kooperativen, wie sie in der Geschichte der Arbeiterbewegung oder in contemporary craft collectives zu finden sind. Diese Netzwerke, gestützt auf gegenseitige Unterstützung und Ressourcenteilung, schaffen geschützte Räume, in denen alternative Praxen erprobt und gestärkt werden können. Sie reduzieren die vereinzelnde Angst und schaffen ein Gefühl der kollektiven Handlungsmacht. Die Kommunikation muss dabei die Sprache der gemeinsamen Werte und nicht des puristischen Dogmas sprechen. Es geht weniger darum, was abgelehnt wird, sondern vielmehr darum, was gemeinsam aufgebaut werden soll: Eine Praxis, die auf Gemeinwohl, ökologischer Nachhaltigkeit und dem Abbau von Klassismus basiert. Das Schaffen von konkreten, positiven Alternativen – seien es gemeinwohlorientierte Designprojekte oder Kunst, die direkt mit benachteiligten Communities arbeitet – wirkt anziehender als ein abstraktes Nein.
Von Denkräumen zu echtem Widerstand: Die Frage der Existenzsicherung
Die Einsicht, dass das Öffnen von Denkräumen und das Stellen von Fragen nicht ausreicht, sondern dass es eines echten Widerstands und der Verweigerung bedarf, führt unweigerlich zur entscheidenden Frage der materiellen Absicherung. Kann dieser Widerstand auf existenzsichernde Beine gestellt werden? Die Geschichte der Avantgarden ist auch eine Geschichte des Mangels, was die Nachhaltigkeit solcher Bewegungen oft limitierte. Dennoch gibt es Modelle, die eine wirtschaftliche Grundsicherung ermöglichen können. Ein zentrales Konzept ist hier die commons-basierte Peer-Produktion, wie von Philosophen wie Michel Bauwens beschrieben. Dabei organisieren sich Kreative in dezentralen Netzwerken, die auf Teilen, gemeinsamer Infrastruktur und alternativen Wirtschaftsmodellen wie der Solidarischen Ökonomie basieren. Genossenschaftsmodelle, bei denen Kreative gemeinsam Produktionsmittel besitzen und Überschüsse reinvestieren, statt sie an Aktionäre auszuschütten, sind ein weiterer praktischer Ansatz. Die Finanzierung könnte durch eine Mischung aus Mikropatronage (Crowdfunding), Stipendien von unabhängigen Stiftungen (die selbst kritisch hinterfragt werden müssen) und einer grundlegenden, staatlich finanzierten Kulturpauschale gedacht werden, die ein Mindestmaß an finanzieller Unabhängigkeit garantiert. Ob dies Wunschdenken ist, hängt vom Grad der Organisierung und der politischen Mobilisierung ab. Die Ökonomin Kate Raworth argumentiert in ihrer "Doughnut Economics" für eine Wirtschaftsform, die die Bedürfnisse aller Menschen innerhalb der ökologischen Grenzen des Planeten sicherstellt. In einem solchen Modell wäre gemeinwohlorientierte, kritische Kunst und Design kein Nischenphänomen, sondern ein integraler, systemisch geförderter Bestandteil der Gesellschaft. Die Etablierung einer solchen wirtschaftlich grundsichernden Struktur für den Widerstand ist daher kein utopisches Wunschdenken, sondern eine politische und organisatorische Aufgabe, die parallel zur künstlerischen und designpraktischen Verweigerung bewältigt werden muss.
Diese Zurückhaltung ist auch einer verschobenen Diskurskultur geschuldet. Kunst muss in sozialen Medien funktionieren, muss ästhetisch ansprechend sein um sich verkaufen oder Besucher anzulocken, muss gefallen oder zumindest unverfänglich sein. Die Angst, "gecancelt" zu werden – sei es durch den Markt, die Institutionen oder die Öffentlichkeit –, wirkt als stiller Zensor und unterbindet provokante, wirklich disruptive Positionen - aber auch spielerische kreative Methodik. In diesem Klima ist Design in globale Systeme und Marktzwänge derart eingefasst, dass es eher als Katalysator für eine Gleichschaltung der Ästhetik und der Probleme wirkt, die es adressiert. Radikalere, systemkritischere Konzepte erscheinen schnell als spekulativ oder, als das ultimative Totschlagargument, unmöglich "vermarktbar". Letztlich sind Kunst und Design der Marktlogik untergeordnet, einem System, das nicht dem Gemeinwohl, sondern primär der Profitmaximierung zugewandt ist. Die einst disruptive Kraft der Avantgarden, gesellschaftliche Tabus zu brechen und neue Wirklichkeiten zu entwerfen, ist damit weitgehend neutralisiert. Ein gesellschaftlicher Diskurs jenseits der engen Grenzen etablierter politischer oder identitätspolitischer Agenden erscheint unter diesen Bedingungen fast undenkbar.
Als unmittelbare, beobachtbare Folgen für Kreative ergeben sich Vereinzelung und der Rückzug in hermetische Filterblasen oder Parallelwelten. Dort mag Kritik geäußert werden, aber sie erreicht selten die breitere Öffentlichkeit oder die Machtzentren. Dies führt oft zu einer stillen Abwendung von explizit systemkritischen Positionen, angetrieben von einer diffusen, aber wirkmächtigen Angst vor den Konsequenzen – dem Verlust von Aufträgen, Fördergeldern oder sozialer Legitimität.